Bericht von Stefan

Warum eigentlich immer nach Italien oder Malle zum Radeln? Nach meinem Besuch in der Provence im letzten Sommer hat mich der Gedanke nicht mehr losgelassen, sah doch die Landschaft um den berühmten Mont Ventoux nach einem erstklassigen Rennradrevier aus - und gefühlte Millionen Holländer und Belgier vor Ort können eigentlich nicht irren. Zwar war der Zuspruch zu meiner Idee im kalten deutschen Winter doch etwas geringer als ich erwartet hatte, aber am Ende waren Steffi und Michael bereit, und zusätzlich hatte mein Bruder noch Dennis und Oli in Alzenau begeistern können. Damit ging die Suche nach einem passenden Ferienhaus los, die uns zu Mr. Grimaud in sein gemütliches und geräumiges provenzalisches Landhaus in Crillon Le Brave führte, gerade mal 5km vom Fuß des längsten und schwersten Anstiegs zum Mont Ventoux - also quasi verkehrsgünstig gelegen.

Vorher galt es aber noch die 900km Anfahrt von München zu überwinden, und mit Übernachtung in Annecy kamen wir am Samstag Nachmittag an unserem Haus an - vom südlichen Klima war aber unter dichten Regenwolken noch nichts zu spüren, nicht mal der Mont Ventoux war zu erkennen. Immerhin nach der ersten Einkaufs- und Einrichtungsrunde im nahen Bedoin gab es genügend Abendsonne für eine 2h Runde durch die Weinberge.

Die Hoffnung auf besseres Wetter konnten wir am Sonntag nochmal verschieben, der Himmel hing voller Wolken die sich auch noch mit ungemütlich hohem Tempo bewegten (Literaturhinweis Mistral Wind). Unsere 100km Runde startete denn auch nach dem Col de Madeleine mit einer Abfahrt nach Norden und etwa 50km/h Gegenwind. Immerhin gab es um Orange herum dann die gleiche Menge Rückenwind, und beim Bergsprint nach Venasque zum Ende auch noch eine ordentliche Portion Sonne. Der Montag bescherte uns eine traumhafte Runde mit längeren Anstiegen, reichlich Sonne und wenig Wind, und gekrönt wurde es mit der 20km langen Abfahrt durch die Gorge de la Nesque. Blöd nur, dass die letzten(!) 10km wieder wie im Windkanal waren - mentales Härtetraining. Vor dem Ruhetag gab es am Dienstag dann eine Runde mit 133km und 2200Hm, diesmal die Gorge de la Nesque bergauf, und zum ersten mal durften wir uns die Straße mit anderen Radlern in größerer Zahl teilen. Hinter Sault ging es dann wieder sehr einsam über die Hochfläche zum Col de l'Homme Mort (kein Witz), wo uns der Wind noch ein letztes mal seine ganz hässliche Seite zeigte, und mit reduziertem Kernteam (Alex, Michael, Steffi und ich) über 3 weitere Pässe durch die Drome zurück nach Sault, wo Dennis wieder eingesammelt wurde und ein letzter kleiner Anstieg - ganz flach, im Grunde fast bergab - uns nochmal auf 998m brachte, bevor es zum Abschluss 20km und 800Hm runter ging bis vor die Haustüre.

Nach einem sehr entspannten Ruhetag mit viel Sonne, ganz viel Chillen und ganz wenig Sightseeing stieg die Spannung: weil Oli und Dennis schon am Freitag Abend losfahren wollten, musste die Königsetappe am Donnerstag starten: die Aufnahmeprüfung in den Club de Cingles de Mont-Ventoux. Das heißt, alle 3 Straßen auf den Mont Ventoux binnen eines Kalendertages hochfahren und mit Stempel und Uhrzeit besiegeln lassen. Das heißt, 3x hintereinander den gleichen Berg hochzufahren. Und das heißt dabei auf 140km mal eben 4400Hm zu bewältigen. Tatsächlich ist die Idee noch viel wahnsinniger als die Zahlen vermuten lassen, denn die ersten beiden Rampen sind über 20km lang und haben über mehrere Kilometer hinweg 10% Durchschnittssteigung - deshalb auch der Tipp, die letzte Rampe mit 5% Steigung über 25km als einfachste Teilstrecke am Ende zu fahren! Beim ersten, berühmtesten Anstieg von Bedoin war die Straße an Christi Himmelfahrt und schönstem Wetter denn auch voller Radfahrer aller Klassen, über Malaucene wollten sich schon viel weniger Radler zum Gipfel quälen, und als wir dann um 19:30 endlich zum 3. Mal oben standen (und nur Dennis hatte nach dem 2. Anstieg den kurzen Heimweg angetreten) war die Besucherzahl im eisig kalten Abendwind auf 1912m schon sehr überschaubar. Erschöpfung, Stolz und Freude waren in etwa gleich groß und die Abfahrt nach Bedoin auf der leeren Straße war zumindest eine angemessene Belohnung. Zurück im Haus waren wir Abends sogar zu müde und erschöpft, um Steffis vorgekochtes Chili leer zu essen.

Am Freitag war dann wenig überraschend die Teilnehmerzahl auf der letzten Radrunde auch nur noch bei 50%, mit 60km und einer letzten Tour über den Col de Madeleine beschlossen Alex, Michael und ich die Trainingswoche und erreichten so die 600km-Marke, während der Rest die Sonne lieber am Pool und auf der Terasse auskostete und diese schöne und harte Trainingswoche ganz gemütlich ausklingen lies. Mit wunderschönen, wenig befahrenen Routen durch unglaublich pittoreske Dörfer, und tollen Möglichkeiten für mittlere und lange Anstiege unterschiedlichster Schwierigkeit ist die Gegend um den Mont Ventoux ein erstklassiges Trainingsrevier, auch der Straßenbelag ist meistens deutlich besser als etwa in Italien. Nur wenn der Mistral zuschlägt, dann wird das Radfahren zu einer echten mentalen Härteprüfung und so manches Mal hat der Wind unsere Flüche davon tragen dürfen. Aber wenn man danach im gemütlichen provenzalischem Haus bei Wein und Baguette den Tag ausklingen lässt und nochmal durch den Pool treibt, dann ist das auch wieder ganz schnell vergessen.

Unterkunft:
Ferienhaus für 6 Personen in Crillon le Brave, 1000€ für eine Woche (Michel Grimaud, fewo-direkt #630666a, sehr empfehlenswert)

Strecken:
Samstag (40km, 500Hm): Bedoin - Flassan - Vil-sur-Auzon - Methamis - Malemort-du-Comtat - Mazan
Sonntag (100km, 1000Hm): Col de Madeleine - Vaison la Romaine - Cairanne - Jonquières Pernes-les-Fontaines - Venasque - Mazan (100km)
Montag (115km, 1500Hm) : Bedoin - Flassan - Vil-sur-Auzon - Methamis - Venasque - Col du Murs - Col de la Ligne - Sault - Gorge de la Nesque - Mormoroin
Dienstag (133km, 2200Hm) : Mormoiron - Gorge de la Nesque - Sault - Ferrassières - Col de l'Homme Mort - Col de Macuègne - Col de la Pigière - Col du Négron - Sault - Col Notre Dame des Abeilles - Flassan
Donnerstag (145km, 4500Hm) : 3x Mont Ventoux
Freitag (60km, 600Hm) : Caromb - Beaumes-de-Venise - Gigondas - Séguret - Vaison-la-Romaine - Col de Madeleine